Regenkonzert

Es schüttet. Bindfadenregen. Blasen auf den Pfützen. Klack klack. Die Tropfen prasseln auf das Gerüst und tropfen von den Stangen. Klack klack klack auf Metall. Überall. Das Essemble von „Home Sweet Home“ probt auf der Tribüne unter dem kleinen Dach. Der einzige Ort, der im Junipark noch trocken ist. Klack klack klack. Durch den lauten Regen kann ich sie kaum hören. Ich stehe unter meinem Schirm und höre den Regentropfen zu. Wenn der Regen auf den Tanzteppich trifft, klingt er ganz dumpf. Plop, plop, plop. Dazwischen ein klack auf Metall, klack, plop, klack, plop. Ein Regenkonzert.
„Na, schönes Wetter, was?“ ruft mir der Wachmann zu. „Bitte?“, frage ich. „Niemand lacht hier“, sagt er und geht die Treppe zum Turm hoch. Ja, das Lachen ist heute Einigen vergangen. Die Präsentation von „Wohnen jetzt“ musste wegen des Wetters abgesagt werden. Die Schauspieler von „Home Sweet home“ hoffen noch, dass das Wetter besser wird und sie spielen dürfen.

Während wir warten, frisst sich der Regen weiter durch den Junipark, macht manch Neu-Entstandendes wieder kaputt. Mein Namensschild am selbstgehäkelten Band ist verwaschen, die Banner sind durchnässt. Aber ein paar Zuschauer finden den Weg in das Gerüst. Es ist 18 Uhr, „Home Sweet Home“ soll beginnen. Ich setze mich auf einen der wenigen trockenen Plätze auf der Tribüne. Anne Paffenholz, künstlerische Leitung, bittet um 15 Minuten Geduld bis „Home Sweet Home“ beginnt, um den Regenschauer abzuwarten. Und tatsächlich, der Regen wird schwächer und hört schließlich auf. Das Team des Essembles fängt an, den Tanzteppich vom Wasser zu befreien. Zwei Jungs aus dem Publikum helfen mit. Mit Schrubbern wischen sie das Wasser an die Seite, manchmal aber auch erst auf ihre eigenen Schuhe. „Schön, die beiden machen das richtig mit Inbrunnst, schwupp, schwupp!“, sagt eine ältere Zuschauerin hinter mir. Ich lache über diesen Kommentar. Wir sollen weitere Minuten warten, bis der Tanzteppich trocken ist, erklärt Anne Paffenholz. „Daumen drücken, dass wir trocken bleiben.“ Darauf kommt gleich die Antwort aus der Reihe hinter mir: „Das wird schon!“ ruft die Frau. Also schauen wir gespannt zu, wie der Tanzteppich und die Stühle getrocknet werden, weitere Minuten vergehen. Neben dem Junipark lichtet sich der Himmel ein kleines bisschen. „Guck mal! Jetzt wird’s richtig schön! Da ist ein Stück blauer Himmel“ – wieder der Kommentar von hinten. Nach weiteren zehn Minuten ist der Boden trocken, doch der Himmel wird wieder dunkler. „Home Sweet Home“, eine Musik-Theater-Performance von Christel Gbaguidi, beginnt.

Die Fragen des Stückes sind klar: Ist Wohnen ein Menschenrecht? Was bedeutet es, wohnungslos zu sein? Die Schauspieler tragen Gesetze vor, die das Recht auf Wohnraum betonen. Sie erzählen Geschichten über ihre Erfahrungen, die zeigen, dass der gewünschte Wohnraum keine Selbstverständlichkeit ist. „Wir brauchen die Wohnung, wir kriegen die Krise“ ist ein Mantra. „Home Sweet Home“ ist eine Performance über das Suchen und Finden verschiedener Wohn- und Lebensträume. Und den Wunsch, dass all diese Träume in Berlin einen Platz finden, nebeneinander und miteinander. Die Inszenierung ist ein Mix aus Sprachen und Kulturen, eine Mischung, die Berlin ausmacht. Die Laienkünstler und Musiker kommen aus sechs verschiedenen Nationen, wie Burkina Faso, Madagaskar, Italien und Israel, im Stück werden verschiedene Sprachen gesprochen.
Der Trompeter spielt ein langes Solo, etwa tragisch – passend zum wieder einsetzenden Regen, dazu erklingt ein afrikanisches Perkussion-Instrument, welches wie ein großes, hölzernes Xylophon ausshieht. Die Spieler singen mehrstimmig: „Home Sweet Home, Home Sweet Home“. Dabei stehen sie zwischen den Zuschauern, sodass ein Klangtepich entsteht.

Der Regen wird wieder stärker. Trotzdem kleben die Schauspieler nun Zettel mit Namen an die Zuschauer und ins Bühnenbild. „Zeitarbeiter, 27 / Studentin, 22 / Obdachloser, 17 / Susanne, 35“ steht auf ihnen geschrieben. Namen, die für jeden in Berlin stehen könnten, der auf der Suche nach Wohnraum ist.
Es regnet Blasen. Die Frau in der Reihe hinter mir macht sich Sorgen um eine junge Schauspielerin, die nur mit einem Kleid bekleidet auf dem Tanzteppich sitzt. Zu recht. Es ist furchtbar kalt und nass. Mittlerweile schüttet es, doch die Schauspieler wollen weiter spielen. Nach fünf weiteren Minuten im Starkregen bricht Regisseur Gbaguidi ab. Wir Zuschauer stehen auf und klatschen und hören lange nicht auf. Respekt vor der Leistung, noch so lange trotz des Wetters durchzuhalten. Gbaguidi ergreift das Wort. „Danke, ihr seid die besten! Der Regen ist unser Beispiel heute – er kann uns alle treffen. Es gibt viele obdachlose Menschen in Berlin, die dem Wetter ausgetzt sind. Wir wollten zeigen, was es bedeutet, wohnungslos zu sein. Aber nicht um den Preis, wenn man danach ins Krankenhaus muss. Deshalb brechen wir hier ab. Wir haben noch mehr zeigen, aber nicht heute. Danke, dass ihr ausgehalten habt.“ Wir klatschen wieder. Ich hören einen letzten Kommentar der Frau hinter mir: „Wir kommen wieder!“

Home Sweet Home, wieder am 29. Juni um 19.15 Uhr im Junipark.

Katharina

Flieg Junipark, flieg

Mit der Heißklebepistole zieht Luke geduldig einen Kreis auf dem orangefarbenen Plastik. Dann drückt der 14-Jährige eine durchsichtige Plastikhalbkugel auf den Kleber, das sieht aus wie eine kleine, gläserne Kuppel. Zufrieden blickt der Teenager sein Werk an: Die Uhr auf dem Cockpit nimmt Formen an. „Mein Vater und ich kamen auf die Idee, für den Turm ein Cockpit zu bauen“, sagt Luke. Mit seinem jüngeren Bruder bastelte er schon einen Radar, verschiedene Knöpfe und einen beweglichen Joystick auf  Plastiktabletts. Nun ist der Feinschliff dran und Luke baut konzentriert die letzten Teile an.

Beim Bauworkshop „Baulücken aufspüren und professionell nutzen“ am Nachbarschaftstag kann sich jeder kostenlos beteiligen. Luke kam, weil sein Bruder bei einer der Präsentationen mitgewirkt hatte. Am Gerüst stapeln sich Planen, Teppiche, Kunsstoffe und Styropor. Mitgebracht hat all dies Anja Scheffer. Als Regisseurin betreute sie die Präsentation „Weltweit…unterwegs“ von der Nürtigen-Grundschule in Kreuzberg. In der Erabeitung des Stücks arbeiteten Anja Scheffer und ihre Kollegen Daria Kornysheva und DJ B.Side mit vielen Materialien, die die Schüler verarbeiteten. Doch Einiges blieb übrig und das brachten die Künstler zum Bauworkshop mit in den Junipark. „Mit unseren Resten bauen wir uns heute in das Gerüst ein“; sagt Anja Scheffer. Jeder darf das bauen, was er möchte. So entstehen Lampen und kleine, individuelle Kunstwerke.

An der Rückseite der Bühne haben drei Jungs eine Baulücke aufgespürt und sich Kaninchendraht und einen Plane genommen. „Wir bauen hier ein Haus“, sagt Moritz und erklärt mir genau, was er vorhat: „Den Kaninchendraht bauen wir in zwei Schichten übereinander und dann spannen wir als Dach eine Plane drüber. Dann kommen Stühle und Kissen in das Haus.“ Noch ist nur der Rohbau zu sehen, aber der 12-Jährige möchte mindestens noch zwei Stunden weiterbauen.

Um die Ecke ist Luke mit dem Cockpit fertig geworden. Mit seinem Bruder möchte er es jetzt oben am Turm anbauen. „Der Ausblick da oben ist toll“; sagt Luke. Damit er diese Meinung teilen kann, baut der Jugendliche ein Walkie-Talkie an das Cockpit, das Gegenstück wird unten am Gerüst seinen Platz finden. So können die Gäste ab jetzt nach oben zum Turm funken, ach nein, zum Cockpit. Also: Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins…flieg Junipark, flieg.

Katharina

Auf 14 Metern

Viele junge Menschen besuchen den Junipark. Viele von ihnen haben eine ganz eigene Meinung zur Wohnsituation in Berlin. Oben auf dem Turm des Juniparks, auf 14 Meter Höhe, habe ich mich mit jungen Menschen unterhalten und gefragt, wie sie zur Wohnsituation in Berlin stehen. Katharina

 

Ich zahle für mein WG-Zimmer 420 Euro. Als ich nach Deutschland kam, wusste ich nicht, wie viel man für ein Zimmer zahlen muss. Also habe ich das Zimmer genommen, weil niemand mir gesagt hat, was hier teuer bedeutet. Das ist unfähr. Es müsste eine Instanz geben, die uns davor schützt, von Vermietern ausgebeutet zu werden.

Chloe, 21, Austauschstudentin aus Kalifornien, wohnt seit 10 Monaten in der Hermannstraße

 

Viele meiner Freunde, die nach Berlin gezogen sind, brauchten eine lange Eingewöhnungszeit. Weil die Stadt so anonym ist, ist es nicht einfach, sich hier als Zugezogener zurecht zu finden. Außerdem denke ich, dass das Liebenswerte an Berlin nicht die touristischen Attraktionen, sondern die netten Hinterhöfe und die Gemeinschaften sind. Doch wenn die immer mehr durch teure Mieten verschwinden, verschwindet auch das, was Berlin eigentlich ausmacht.

Joachim, 23, Student aus Tübingen, mehrmals im Jahr zu Besuch in Berlin

 

Mit meiner kleinen Tochter und meinem Vater wohne ich in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Lichtenberg. Das kann manchmal ganz schön eng werden. Ich würde gern mit meinem Kind umziehen und selbstständig werden, aber das ist schwer, weil die Mieten so hoch sind.

Katherina, 23, wohnt in Lichtenberg

 

Nina

Natürlich ist es gut, wenn baufällige Wohnhäuser in Berlin saniert werden. Aber ich finde es sehr schade, wenn dadurch Häuser ihren Charme verlieren. Die alte Holztreppe im Treppenhaus ist vielleicht etwas abgetreten, aber sie wird einfach abgerissen und eine neue Treppe wird eingebaut, statt das Besondere zu restaurieren und zu erhalten. Das hebt die Mieten und ein Stadtteil nach dem anderen verändert sich.

Nina, 23, Studentin aus Neukölln

 

Untot im hohen Gras

Der Blick ist starr, die linke Pupille leuchtet weiß. Die Hände zucken und Blut tropft aus den Mündern. Etwas gebeugt und schief rennen sie auf uns zu und wollen beißen. Die Zombies haben Berlin bevölkert, Schuld daran ist ein Parasit. Die Untoten leben auf der Brache am Junipark. Ein Ort, an dem schon viel über Brachennutzung diskutiert wurde. Was passiert mit freien Flächen in Berlin? Die Zwiefachen der Berliner Schaubühne haben dazu viele Ideen entwickelt und laden mit „Nice to eat you“ das Publikum zu einer Zombie-Tour durch den Junipark ein. Begleitet wird diese von den Untoten. Ein Erfahrungsbericht.

 Zombie

Am Eingang werden farbige Bändchen verteilt: pink, grün, schwarz, gelb und blau. Ich bekomme ein gelbes. Der Junipark ist sehr voll. Die Menschen rücken immer mehr auf der Tribüne zusammen. An jedem Arm leuchtet ein anders farbiges Bändchen. Die Show beginnt und der Zombie-Moderator betritt die Bühne. Im silbernen Jackett begrüßt er die Lebenden. Es gehe heute um den Kampf der letzten freien Fläche in Berlin, ein Filetstück sozusagen. Sichtlich läuft ihm das Wasser im Mund zusammen. Das weiße Auge starrt in die Zuschauer. 14 Ideen gibt es zu der Nutzung dieser Fläche. Vier davon wird jeder Zuschauer kennenlernen, auf einer Tour durch das hohe Gras um den Junipark. „Lasst euch von den Untoten nicht verunsichern“ ruft er noch und lacht. Dann halten die rechtlichen Zombies Farbkärtchen hoch und die Zuschauer müssen sich sortieren. Ich laufe zu meinem zuständigen Zombieführerin, gelb. Sie zuckt und starrt uns an mit ihrer weißen Pupille. Ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Wer weiß, wo die Tour hinführt.

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Die erste Station ist an einem Weg nahe des Juniparks. Wir nehmen auf einem Kinder-Verkehrsteppich Platz und Sarah, keine Untote, erzählt uns von ihrer Idee für die Brache: Sie möchte eine „Kita Z“ bauen, ein Ort, der Kinder schon im Kleinkindalter wettbewerbsfähig macht und sie fit für die Ansprüche der Gesellschaft machen: Statt Spielplatz gibt es eine Arena, statt Mittagsschlaf nur ein Power-Nap.

 Sarah

Nur mäßig überzeugend, denke ich. Sarah führt uns in das hohe Gras hinein und zeigt, wo sie die Arena bauen möchte. Zwischendurch: Schreie. Ein Zombie ist in Sichtweite. Wir laufen hintereinander durchs hohe Gras.

Mitten auf dem Weg treffen wir auf Janna. Die junge Frau erzählt uns, was sie an Berlin nicht mag: „Berlin ist innerlich zerrissen. So wie die East-Side-Galery. Einfach auseinander gerissen, um einen Turm mit Loft-Wohnungen zu bauen. Wolltet ihr das?“, fragt sie in die Runde. Alle schütteln den Kopf. Schuld daran soll ein Zombievirus sein. Sarahs Lösung: Mitten in Berlin die Schwäbische Alb aufbauen. Nur das könne die Berliner davor bewahren, mit dem Zombievirus infiziert zu werden.

Janna

Bei der Tour über kleine Trampelpfade träumt Janna von einer geschwungenen Hügellandschaft und Apfelbäumen zur Selbstversorgung. Auf einmal ist hinter uns ein Zombie. Janna ruft nur: „Rennt!“ und wir alle rennen ihr hinterher. Ich versuche sehr bedacht, nicht auf eine der vielen Nacktschnecken zu treten, denn ich wüsste nicht was das größere Übel wäre: Zombie oder auf einer zermatschten Nacktschnecke ausrutschen. Auf einer Lichtung angekommen zählt Janna durch: „Sind auch alle da? Wirklich?“ Niemand ist verloren gegangen, ein Glück.

Ein Stück weiter sitzt Tabea auf einem Baumstamm. Wir nehmen davor Platz. Das Klima in Berlin sei rauer geworden, sagt sie. Die Jeansjacke trägt sie lässig übers rote Kleid. Berlin sei wie ein Eisberg, man müsse zueinander finden. Deswegen möchte Tabea am Junipark ein Begegnungszentrum für Untote und Sterbliche bauen. Inklusion der „People of the living dead“ – das ist ihr Slogan.

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Während sie spricht sitzt ein Zombie im Baum neben uns. Tabea schlägt vor, die Begegnung zu üben. Eine Freiwillige meldet sich. Auf ein Kommando sollen sich die beiden begegnen und begrüßen. Doch es ist erfolglos, statt die Hand zu geben, spuckt sich das Zombiemädchen in die Hand. Begegnung gescheitert. Eine passende Werbung für Tabeas Begegnungszentrum.

Zuletzt treffen wir auf Martin: Ein Fernglas baumelt um seinen Hals, auf dem Kopf trägt er einen Stoffhut, Forscherklischee. Nein, verändern soll sich hier am Junipark nichts. Ganz im Gegenteil: Martin möchte ein Zombiereservat bauen. Er ist ein Zombiloge. Wir dürfen auf seinem Feldbett mitten Im Gras Platz nehmen. Leider stinkt es hier sehr, ich halte mir mein Tuch vor die Nase. Doch Martin spricht unbeirrt über einen Parasiten, der die Menschen zu Zombies macht. Immer wieder schaut er durch sein Fernglas.

 Martin

Dieser Parasit kann seinen Wirt manipulieren, erklärt Martin und gibt den befallenen Wesen die Gabe der Telepathie. Genau diese möchte Martin erforschen. „Wir machen jetzt Forschung“ ruft Martin und drückt uns Taschenlampe und seinen Forscherkoffer in die Hand. Gemeinsam stapfen wir wieder hintereinander durchs hohe Gras. „Ihr seht nicht aus wie ein Forscherteam, sondern wie eine Schulklasse“, ruft Martin. Recht hat er. Die Stimmung ist gut. Und dann stimmt Martin ein Lied an und wir singen mit: „Hey, was geht ab, wir forschen die ganze Nacht.“ Schon sind wir wieder am Junipark angekommen.

Wir versammeln uns auf der Tribüne, die anderen Gruppen sind schon da. Im zweiten Teil der Show stellen alle 14 ihre Ideen vor. Dabei treten sie in vier verschiedenen Kategorien gegeneinander. Das Klatschen des Publikums entscheidet, welcher Bauvorschlag auf der Brache umgesetzt werden soll. Im Poetry-Slam rappt Sarah über ihre Wettbewerbs-Kita, beim romantischen Gedicht ist Tabea dran, doch beide können nicht überzeugen und werden von den Zombies gebissen. In der nächsten Runde singt Janne ein Lied im schönsten Schwäbischen Dialekt über ihre Alb. Martin stellt mit einem Zombie den Weg eines Parasiten durch den Körper da dar.

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Es macht Spaß, dem Ganzen zuzusehen. Die anderen sechs Teilnehmer und ihre Ideen klingen spannend, teilweise überzeugender. So stimmt ein Mädchen gegen Zombiefizierung an, jemand fordert eine freie Beiß-Zone oder wirbt für ein Zombie-Aussteiger-Programm. Zuletzt hält ein Immobilienmakler eine Rede, in der er vorschlägt, das Tempelhofer Feld auszubuddeln, mit Wasser füllen und das Tempelhofer Meer daraus zu machen.

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Die Zombies ächzen an den Seiten der Bühne und warten auf die, die das Publikum rauswählt. Dann stürzen sie sich auf die Verlierer rennen raus und es knallt. Nach kurzer Zeit kommen sie blutverschmiert wieder. Martin bleibt verschont und siegt, aus der Brache soll nun ein Zombiereservat. In seiner Siegesrede träumt er vom Weltfrieden und das Stück endet mit einem Lied in 14 Metern Höhe auf dem Junipark-Turm, dass Forscher Martin singt: „Aus diesem Gebiet wird ein Forscherreservat, damit wir lernen, wie sich ein Zombie paart.“

Katharina

Blühende Flaschen

Im Schatten unter der Gerüststadt entsteht seit Tagen eine eigene kleine Welt. Hängematten, Sofas und kleine Beete schaffen eine Wohnzimmer- und Datschen-Atmosphäre.
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Auf meiner Tour durch die Unterwelten des Juniparks entdecke ich Irene von der Stiftung SPI Stadtentwicklung. Mit dem Projekt „Wachsen und Werden“ ist sie Teil der Nachbarschaftstage. Mit Eimern voller Wasser gießt die 32-Jährige die Hochbeete unter dem Gerüst. „Ich hätte das Gerüst gern etwas begrünt“, sagt Irene.
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Beim Urban Gardening können die Besucher sich im Pflanzen und Gärtnern versuchen. Irene hat viele Blumen gekauft, Wiesen- und Balkonblüher, die noch eingepflanzt werden müssen. Außerdem gibt es sogenannte Samenbomben, die Gäste auf der Wiese verteilen können. „Der Junipark ist nur temporär hier, doch der Garten bleibt als Spur des Projekts“, erzählt Irene.
Heute hat die Moabiterin eine kleine Bastelaktion vorbereitet: Aus Plastikflaschen soll ein hängendes Beet entstehen. Ein Selbstversuch:

Irene gibt mir eine leere 1,5 Liter Plastikflasche, dazu einen Cutter, ein Messer, Kabelbinder, eine Blume und Erde.

Zu allererst piekse ich mit der Scheere Löcher in die Längsseite der Flasche. Dabei müssen nach Irenes Einweisung alle Löcher mit etwas Abstand zueinander in einer Reihe sein. Irene erklärt mir, dass die Löcher wichtig seien, damit das Wasser abfließen könne und die Erde etwas Luft bekäme. Ansonsten würde unser kleines Beet sehr schnell schimmeln.

Danach drehe ich die Flasche um und schneide, auf der gegenüberliegenden Seite der Löcher, mit der Scheere ein Fenster in die Flasche. Dort kommt später die Blume hinein. Dabei muss auch etwas Platz neben der Pflanze vorhanden sein, also darf das Fenster nicht zu klein sein.

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Irene gibt mir einen Einmalhandschuh und den Eimer mit Erde. Ich befülle die Flasche horizontal. Dabei brauche ich viel mehr Erde, als ich vorher gedacht habe. Besonders die Seiten müssen gut gefüllt sein, damit die Blume später nicht verrutscht.

Ich suche eine rosafarbene Blume aus. Irene zeigt mir, wie man die Wurzeln der Pflanze etwas lockert: Sie bohrt ein Loch in die festgedrückte Erde der Blume und zieht das Loch zu allen Seiten auseinander. „Das mache ich, damit die Wurzeln besser in der neuen Erde anwachsen“, erklärt mir Irene.

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Nun setze ich die Blume in die Flasche und nehme erneut Erde, um die Seiten noch etwas aufzufüllen und alle Wurzeln zu bedecken.

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Als die Blume festsitzt, verbindet Irene zwei Kabelbinder miteinander. Ich darf mir aussuchen, wohin wir das kleine Beet hängen und ich wähle eine Gerüststange neben der Bühne aus. Wir binden die Flasche mit den Kabelbindern fest und schieben die Flasche auf die Gerüststange herauf.

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Zuletzte gießt Irene meine Blume in der Flasche. Ein Mini-Beet mitten im Juniparkgerüst ist entstanden. Wie schön!

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Sonne satt

Die Hitze steht im Junipark. Schon nach den ersten Schritten im Gerüst suche ich mir eine Bank und wedel mir mit einem Junipark-Programm kühle Luft in mein Gesicht. Die Stangen des Gerüsts neben mir sind kochend heiß. Ein Security-Mann zückt seine Wasserflasche und kommt zu mir auf die Holzbank: „Irgendwann is‘ auch genuch“ sagt er und setzt sich zu mir. Hier im Schatten lässt es sich aushalten. Doch in der Mitte des Juniparks, wo es am wärmsten ist, sind schon ein paar Anwohner fleißig.

Auf zwei langen Tischen stehen viele frische Zutaten für das Abendessen am Nachbarschaftstags heute. Tomaten glänzen in der Sonne, Schnittlauch, Petersilie und Basilikum stehen in mit Wasser gefüllten Plastikschüsseln. Dahinter vier kleine Kochplatten, zum Abwaschen gibt es einen Plastikeimer voller Wasser. Alles steht bereit, und schon wird Salat für einen Krautsalat geschnippelt. Schnell füllt sich eine Waschschüssel damit. Das ist aber viel bemerke ich. Doch Sven Seeger, Kopf der Nachbarschaftstage im Junipark, winkt ab: „Wir wollen bis zu 80 Leute heute Abend satt bekommen, da ist so eine Waschschüssel Krautsalat nichts.“ Dann nimmt er sich eine Chilischote und schneidet kleine Scheiben ab. Das Essen wird auf der Bühnestattfinden, an einer langen Tafel.

Viele verschiedene Salate wird es heute geben, dazu Anipasti, Hackfleisch und Köfte. Ein Großteil vegetarisch, damit für jeden etwas dabei sei, erzählt mir Selma von Bürger- und Familienzentrum Wahrte-Mahl im benachbarten Schillerkiez, während sie Knoblauchzehen schält . Selma kennt sich mit Nachbarschaftskochen für viele Menschen aus, einmal im Monat leitet sie eine große Kochaktion im Familienzentrum.

Daneben schälen und schneiden Christiane und Angelika Möhren, die später ins Antipasti sollen. Christiane ist eine direkte Nachbarin vom Junipark. Über den Flyer ist sie auf den Junipark aufmerksam geworden: „Der Spruch darauf hat mir so gut gefallen!“ [„Wenn wir einfach einen Bock mehr haben, könnte man vielleicht als Riesenaktion starten, dass die ganze Jugend aus Berlin verschwindet. Dann sieht man mal, wie Berlin ohne Jugendliche aussieht.“, Schülerin, 17] und Christiane überlegt, was passieren würde, wenn in Berlin keine jungen Menschen mehr wohnen würden. Die 64-Jährige wohnt gern in Neukölln: schöner Altbau, gute Lage, doch vierte Etage ohne Aufzug. Daher sucht sie schon eine Weile eine neue Wohnung im Erdgeschoss, bisher erfolglos: „Es ist so schwer geworden, hier in Neukölln eine Wohnung zu finden.“
Angelika und sie kennen sich seit über 30 Jahren, zu Pfingsten kam Angelika aus Köln angereist und Christiane nahm sie mit in den Junipark. „Wir wollen eigentlich nur gucken, aber wir sind gleich hängengeblieben“, erzählt Angelika. Beide lachen. Zum Abendessen später wollen sie wiederkommen.

Immer mehr Nachbarn kommen unterdessen dazu. „Gibt es noch was zu schnippeln?“ – „Na klar. Jeder darf. Wir machen das für Euch.“ Auf den Kochplatten braten Zucchinischreiben mit viel Öl und Knoblauch. Eine Besucherin aus Charlottenburg hat sich eine bunt gestreifte Schürze umgebunden, die Haare geflochten und wendet geduldig die Scheiben. Es reicht unheimlich gut. In Öl eingelegt legt der Security-Mann von vorhin die Zuchhini mit den Möhren in zwei Glasschüsseln und verrührt. Ich darf kosten. Sehr lecker!

Katharina

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Lieblingsplatz

Es ist nicht schwer, einen Lieblingsplatz im Junipark zu finden. Meinen teile ich wahrscheinlich mit den meisten der Besucher: Dort ist es windig, ein bisschen wackelig und die Aussicht ist unglaublich schön. „Kannst du bitte ein Foto von uns machen“ – das werde ich in der Viertel Stunde oben auf dem Junipark-Turm drei Mal gefragt. Ja, klar. Und so stellen sich drei verschiedene Pärchen vor die Tempelhofer Freiheit. Dass die Sonne von dort scheint und auf dem Foto nur zwei dunkle Gestalten zu erkennen sind, stört sie nicht. Doch bis auf die drei Paare hier oben ist es noch leer am zweiten Junipark-Tag.

Vereinzelt stehen zwei, drei Besucher unten an der Bar und die Tanzgruppe der Schlesischen27 macht sich für ihre Performance warm. Beim Bauworkshop arbeitet noch ein Mann mit Holz. Was er genau macht, kann ich von hier oben nicht erkennen, schließlich trennen uns 14 Meter und ich bin nicht ganz schwindelfrei. Also stützte ich die Hände auf das Geländer und schaue geradeaus in Richtung Tempelhofer Feld. Ein einzelner Kitesurfer versucht sein Glück, viele Berliner sind zu Fuß oder mit Hunden unterwegs. Immer wieder bleiben Fahrradfahrer stehen und schauen zum Junipark-Turm. Am meisten wundert die Menschen vielleicht das große Fragezeichen am Turm, welches etwas vorwurfsvoll Richtung Tempelhofer Freiheit blickt.

Dann steht eine junge Frau neben mir, nicht viel älter als ich. Sie zückt ihr Smartphone, fotografiert in Richtung Sonne und wir kommen ins Gespräch. Direkt gegenüber wohne sie und wollte mal nachschauen, was hier eigentlich los ist. Wochenlang habe sie gehört, wie es schepperte und das Gerüst entstand. Die Studentin holt das Junipark-Programm aus ihrer Tasche und geht die kommenden Tage durch. Sie möchte wiederkommen. Vielleicht begegnen wir uns noch einmal.

Langsam füllt sich viele Meter unter mir der Junipark, die Tanzgruppe hat schon die Musik aufgedreht. Reggae. Und dann, ganz plötzlich, bin ich allein auf dem Turm. Ich nehme mein Handy aus der Tasche und mache ein Foto. Berlin hat zwar keine Skyline. Aber ich denke, die braucht es auch nicht. Berlin hat einen Horizont.

Katharina